»Eine Architektur, deren Formen beliebig sind, nicht entwickelt aus einer technischen oder betrieblichen Funktion, sondern aufgesetzt, das ist natürlich genau die Architektur, wie die politische Anti-Aufklärung sie braucht. Insofern leben wir in einem Paradies für flotte Künstler. Erlaubt ist nicht nur, was gefällt; erlaubt ist auch, was bezahlt wird. Wir sollen oder wollen uns nicht bewusst sein, welchen gesellschaftlichen Kräften wir unterworfen sind; es gibt Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ja, aber Klassenbewusstsein ist unerwünscht. Eine Fassade ist eine Fassade ist eine Fassade, und was dahinter ist, das weiß die Lobby.« Die markigen Worte stammen von Max Frisch, zitiert aus einem unveröffentlichten Aufsatz Mitte der 1980er-Jahre. Seine kritischen Bemerkungen haben an Aktualität nichts eingebüßt, wenn auch die Auseinandersetzung mit der Postmoderne in der Architektur sich zwischenzeitlich gewandelt hat. Vergleichbar zeitlos wirken die Fotografien von Gertrud Vogler der frühen 1980er-Jahre aus La Défense. Die Mittel der Fotografie sind natürlich andere als die der ›sprachlichen‹ Kritik – »gerade weil die Fotografie keine eigene Sprache hat, weil sie vielmehr zitiert als übersetzt, spricht man davon, dass die Kamera nicht lügen kann, aber aus dem gleichen Grunde kann sie auch nicht die Wahrheit sagen; oder richtiger: die Wahrheit, die sie mitteilt, die sie mit ihren Mitteln verteidigen kann, ist begrenzt« (John Berger). Für Getrud Vogler war es wichtig, mit visuellen Mitteln Zusammenhänge darzustellen und sichtbar zu machen: »Die Frage, was ich denn fotografiere, bringt mich jedes Mal in Schwierigkeiten. Alles, was mich interessiert. Für mich ist die Fotografie ein wichtiges Mittel der Dokumentierung. Dokumentierung von Dingen, Anlässen, die normalerweise nicht genügend Interesse finden oder die nicht sensationell genug sind oder die politisch zu kompromittierend und störend sind. Abgesehen von der Tatsache des Dokumentierens, ist die Fotografie auch ein gutes Mittel, um Probleme, Widersprüche und Konfrontationen visuell zu formulieren. Das ist es, was mich an der Fotografie interessiert. La Défense, eine Bühne zum Glanze der Architekten und Technokraten und ihrer Kunden, multinationale Unternehmen wie IBM, Esso, Rank Xerox, monumentale Gebäude aus Zement und Glas, worin sie sich selbstgefällig gegenseitig spiegeln. Fassaden, die das Leben im Innern verstecken, die verhindern, dass wir die Menschenmassen sehen, die sich hinter den Gläsern bewegen und deren Zeichen zu entdecken ich mich beharrlich bemüht habe. Fassaden, die den Fußgänger absorbieren, um ihn unverzüglich zurückzuweisen. Fassaden und Formen, die für eine Fotografin wie mich außerordentlich attraktiv und faszinierend sind. In diesem grandiosen Dekor, ideales Szenario für einen Kriminalfilm, mit Komparsen, die untereinander austauschbar sind. Sogar die Pflanzen und Bäume scheinen ihre Existenz einzig dem Kriterium dieser Ästhetik zu verdanken. […] Bei meinem letzten Besuch sah ich auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig am Ende der Fahrstrecke eine kleine Menschenansammlung. Zwei Polizisten rannten vorbei; ein Passant kam und fragte: Was ist los? Ist schon wieder einer vor den Zug gesprungen? Ich bin ein ums andere Mal wiedergekommen, fasziniert, dominiert, abgewiesen. Ich bleibe draußen vor der Geldmaschinerie und beschränke mich auf die sinnlichen Erfahrungen und Eindrücke.«
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Alle Aufnahmen entstanden mit einer Nikon und Ilford HP5 SW-Filmen. Gedruckt wurde auf einer Heidelberg Speedmaster 70/100 bei H&P Druck in Berlin. Papier war »Lessebo smooth brigth« in 150 g/m2 von Igepa und »Rainbow« in der Farbe hellgrau in 12o g/m2 von Papier-Union. Für den Einband wurde »Rainbow« in der Farbe hellgrau in 230 g/m2 von Papier-Union verwendet – für die aufgesetzten Deckel, Präsentationskarton schwarz in 1400 g/m2 von Igepa. Gebunden wurde das Werk von der Buchbinderei Mönch in Leipzig. Verwendete Schrift war die »Neutral BP« von Kai Bernau.