disadorno edition



[...] Denn die Lage, sagt Brecht, wird »da­durch so kompli­ziert, daß weniger denn je eine ein­fache Wieder­gabe der Reali­tät etwas über die Reali­tät aussagt. Eine Photo­graphie der Krupp­werke, oder der A.E.G. ergibt bei­nahe nichts über diese Institute. Die eigent­liche Reali­tät ist in die Funk­tionale gerutscht. Die Ver­dinglichung der mensch­lichen Be­ziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus.«
 »Die Ver­ding­lichung« als (gelebte) Er­fah­rung richtet nicht nur den Blick durch den Sucher bei der Auf­nahme, viel­mehr schärft sie auch die sub­jektive Wahr­nehmung der Ab­bildungen. Der Ver­ding­lichung folgend, bleiben die Auf­nahmen »subjektlos«, die Ent­fremdung noch ver­stärkend – »Bruch­stücke« mit Geschichte – Brache, Ruine und Neu­bau im Wech­sel der politischen Sys­teme. Während vor 20 Jahren der kapi­talistische Westen den Mauer­fall und die Auf­lösung des Ost­blockes hämisch bej­ubelte, steht heute just genau dieser vor seiner größ­ten (öko­nomischen) »Krise«. Die Ver­gäng­lich­keit, den temporären Charak­ter von Ver­ände­rung, Zer­störung und Wieder­aufbau in den Ab­bildungen zu »zitieren« mag eher zweit­rangig sein. Zen­traler ist der Ver­such einer An­näherung an die Durch­dringung von Gesell­schaftlich­keit, Ökonomie und »Sub­jekt« an diesen (Stand-)Orten. Nicht um­sonst sind diese auf dem Stadt­plan in »Grau« gehalten, unauf­fällig und iso­liert, mal größer mal klei­ner, weisen sich aus – gren­zen sich ab. So wird die »Standort­frage« nicht nur eine im öko­nomischen Sinne, sie durch­dringt auch die fotografische Dar­stellung, mit Blick auf Tektur und Textur des gewählten Zitates. Für sie gibt es ent­sprechend keine ein­deutige Lesart/Inter­pre­tation – das »Bild« im Kopf (die eigene Pro­jektion) bleibt jeweils ein indivi­duelles (wenn auch an Auto­nomie nicht mehr viel vor­handen sein mag).
 [...] Der Kon­text der Er­fahrung stellt schließ­lich ihre Viel­deutig­keit heraus. Die Dis­konti­nuität der Ab­bildu­ngen ver­weist auch immer auf das Un­zusammen­hängende, auf das nicht Aus­gesprochene, ver­bindet diese »Lücken« zur Geschichte, zur still­schweigenden Über­ein­kunft mit dem Erzähl­ten. Man könnte sagen, es ist auch der Ver­such, das beson­dere Ein­zelne zum All­gemei­nen in Be­ziehung zu setzen. Weil die Foto­grafie keine eigene Sprache hat, weil sie viel­mehr zitiert als über­setzt, spricht man davon, dass die Kamera nicht lügen kann, aber aus dem gleichen Grunde kann sie auch nicht die Wahr­heit sagen; oder richtiger: die Wahr­heit, die sie mit­teilt, die sie mit ihren Mitteln verteidigen kann, ist begrenzt. Eine Foto­grafie zitiert aus Erscheinungen, aber indem sie zitiert, simpli­fiziert sie diese. Aber diese Simpli­fizie­rung kann ihre Les­bar­keit er­höhen. Alles hängt ab von der Quali­tät des gewähl­ten Zitates, so John Berger in seinem Essay: Another Way of Telling, 1982.
 [...] Wo aber der Mensch aus der Photo­graphie sich zurück­zieht, da tritt erst­mals der Aus­stellungs­wert dem Kult­wert über­legen ent­gegen. Diesem Vor­gang seine Stätte gegeben zu haben, ist die unver­gleich­liche Bedeu­tung von Atget, der die Pariser Straßen um neun­zehn­hundert in menschen­leeren Aspekten fest­hielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, daß er sie auf­nahm wie einen Tatort. Auch der Tatort ist menschen­leer. Seine Auf­nahme erfolgt der Indizien wegen. Die photo­graphischen Auf­nahmen beginnen bei Atget, Beweis­stücke im historischen Pro­zeß zu werden. Das macht ihre ver­borgene politische Bedeu­tung aus, so Walter Benjamin in: Das Kunst­werk im Zeit­alter seiner technischen Reproduzier­bar­keit, 1936.
 Den foto­grafischen »Bruch­stücken« folgen text­liche, die nach vorne und zurück blicken. Frag­mente aus »Cluster, Die neue Etappe des Kapitalis­mus« assoziieren die Lücken zum Unzusammen­hängen­den, zur Diskon­tinuität – unbequeme Nadel­stiche wider den Zeitgeist. [...]

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bodo
Herstellungsinformationen und technische Daten
Alle Aufnahmen entstanden mit einer Contax RTS III und dem Film­material »Imagelink« von Kodak, ent­wickelt in »SPUR Imagespeed Professional«. Gedruckt wurde auf einer Heidel­berg Speed­master 70/100 bei H&P Druck in Berlin in Tritone. Papier war »Profi-Bulk« 150 gm/2 von Igepa für den Inhalt und f-color der Gebr. Schabert für den Ein­band – gebun­den wurde das Werk bei der Leipziger Kunst- und Verlags­buch­binderei. Ver­wendete Schrift war die »Franklin Gothic« von Morris Fuller Benton. Morris Fuller Benton war ein US-amerikanischer Ingenieur und ein bekann­ter Typo­graf und von 1900 bis 1937 Design-Direk­tor der Schrift­gießerei ATF. Er hat über 200 Schrift­schnitte ent­worfen oder über­arbeitet. Zu den bekanntesten seiner Schrift­fami­lien ge­hören ATF Bodoni, Broadway, Century, Franklin Gothic, Clear­face, Cheltenham, Stymie und Cloister Old Style.