(Aus dem Essay von Andrea Gnam) Im Fall von Berlin, mit seiner über vier Jahrzehnte hinweg politisch fest gefrorener Stadtgeschichte, ist Jean Claude Mouton angesichts des Stadtumbaus und der wieder freigelegten Erde nicht den üblichen Assoziationsketten zu ausgetrockneten Flussläufen, einstigen Wäldern oder prähistorischen Urmeeren nachgehangen, die sich bei solch imaginären Zeit-Spulungen zu längst vergangenen Epochen in der Regel einstellen. Mit Trabi, noch verbliebenen Mauerstücken, demontierten Betonplatten hat er stattdessen industriell gefertigte Auslaufmodelle als Motive mit zeitspezifischem Zeichencharakter gewählt, bei deren Anblick das Staunen über die ungewohnt sich verflüssigenden, bald aber wieder erstarrten Besitz- und Herrschaftsverhältnisse bis heute noch nachschwingt. Beeindruckend ist die im Bild geschaffene Geometrie, innerhalb derer Mouton mit seiner Kamera Häuser und Autos, Bauwagen und Zäune als Körper innerhalb eines gedachten Koordinatensystems zueinander in Beziehung setzt. Kuben und Quader scheinen als visuelles Ausgangsmaterial mit den Augen des Plastikers gesehen. (...)
(...) Jean Claude Mouton hat in den Straßen des vom Verkehr überfluteten Paris der Neunziger Jahre während der Rush Hour fotografiert. Die Bilder sind im gleichen Zeitraum wie die Berlinaufnahmen entstanden - und bilden in der Gegenüberstellung der beiden ehemals jeweils zur »Hauptstadt« einer Epoche ausgerufenen Metropolen eine Art Gegenpart zueinander: Paris galt als europäische Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, Berlin war das Zentrum der zwanziger Jahre. Wagen und Motorräder rollen hier dicht an dicht nebeneinander her und aufeinander zu oder der Verkehr kommt zeitweilig ganz zum Erliegen. Auch in Paris gilt seine Aufmerksamkeit der Formensprache des temporären Raumgefüges, das sich aus den Abständen zwischen den Fahrzeug-Körpern auftut. Über den formalen und sozialen Aspekt des Bildgeschehens hinausgehend, bedeutet diese bewegte Raumkonstellation allerdings in der Lebenswelt nichts weniger als eine Frage von möglichst reibungslosem Durchkommen oder mit Kosten und Ärger verbundenem Auffahrunfall. Abstandhalten ist unabdingbar, aber es gilt auch, jede Lücke vorteilhaft zu nützen, den Abstand zum Vordermann zu minimieren. Die Bildtafeln sind hier zu mehreren, farblich immer intensiver werdeden Tableaus angeordnet, die Fotografien sind aus der Sicht desjenigen aufgenommen, der sich zu Fuß durch den Verkehr schlängelt und sie zeigen sowohl die ästhetische Faszination am formalen Ablauf als auch den täglichen Überlebenskampf. (...)
(...) Enklaven, die am Rand oder mitten in der Stadt entstehen und vergehen, in denen wir es, anders als beim Schiebe-Puzzle des motorisierten Verkehrs wieder mit materiellen Spuren zu tun haben, die man als Hinterlassenschaften von Planungsprozessen und daraus entstehenden blinde Flecken bezeichnen könnte, sind im Werkkomplex »Peripherie« zusammengefasst. (...) Solche Orte sind zwar öffentlich, aber in der Regel befinden sie sich jenseits der Wahrnehmungsschwelle, obwohl sie vielleicht sogar den »Bauch der Stadt« bilden, die permanent Peripherie erzeugt, aber auch irgendwann Gebiete an der Peripherie wieder in Besitz nimmt. Ihre psychologische Tragweite kann oft erst im Nachhinein erfasst werden, Jean Claude Mouton tut dies mit der Kamera schon vorher. Dabei gerät auch immer wieder das Ordnungs-, Ausgrenzungs- und Einhegebedürfnis in den Blick, das Pendel schwingt hier hin und her zwischen melancholischem Zuwarten, wenn man die Dinge einfach sich selbst überlässt und dem Bedürfnis gezielt Zäune und Absperrungen aufzustellen, um kleine Enklaven zu errichten.
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Gedruckt wurde auf einer KBA Rapida RA 106 - 5 Farben bei der DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, die auch die buchbinderische Weiterverarbeitung geleistet hat. Verwendetes Papier war »Druckfein« in 150 g/m2 von Römerturm. Für den Einband wurde KartoKraft in 390 g/m2 von Igepa verwendet. Verwendete Schrift, war die »Acumin« von Robert Slimbach.