disadorno edition



[...] Im Jahr 1913 hat Kasimir Malewitsch die Ge­schich­te der Male­rei auf den Null­punkt zurück­geführt: Er stellte sein »Schwarzes Quadrat auf weißem Grund« aus, um eine ästhe­tische Form auf­zu­zeigen, die allem, was man bisher unter Male­rei ver­stand, ent­gegen­gesetzt war. Sieben Jahre spä­ter schloß Jewgenij Samjatin seinen uto­pischen Roman »WIR« ab. Auch er führte alles, was bis­her im utopischen Den­ken als posi­tiv galt, auf Null zurück: Die uto­pischen Bil­der als In­begriff einer humaneren mensch­lichen Zukunft ver­kehr­ten sich in ihr Gegen­teil. Bedeu­tet nun diese Null­punkt Reduk­tion das Ende des utopischen Denkens? Oder eröff­nete sie die Chance eines Neu­anfangs? Ist sie der Aus­druck eines radi­kalen Nihi­lismus? Oder ver­sucht sie, die humanen Inten­tionen des uto­pischen Denk­ens gegen­über den eige­nen Gefähr­dungen zu sensi­bilisie­ren? [...] Nun steht frei­lich die Bedeu­tung Samjatins für das klassische Muster der »schwarzen« Utopie in einem um­gekehr­ten Ver­hält­nis zu seinem Be­kanntheits­grad. Die Gründe für dieses Phänomen sind zum Teil in seiner Bio­graphie ver­ankert. 1884 in Lebedjan in Mittel­ruß­land ge­boren, enstammte Samjatin der ge­bilde­ten russischen Mittel­schicht. Nach­dem er 1892 in das Pro­gymnasium seiner Heimat­stadt ein­getre­ten war, bes­uchte er vier Jahre später das Gymnasium von Woro­nesh, das er nach Ab­schluß seiner schulischen Aus­bil­dung 1902 mit Aus­zeich­nung ver­ließ. Im gleichen Jahr begann er sein Studium an der Schiff­sbau­ab­teilung des Poly­technischen Instituts in St. Peters­burg, das er 1908 erfolg­reich be­endete. Als Student ge­hörte er der Sozial­demo­kratischen Par­tei an und nahm am politischen Leben regen An­teil. In einer 1928 ver­öffent­lich­ten auto­bio­graphischen Notiz schrieb er: »Damals wurde ich Bolschewik (heute nicht)«. Wie kam es, dass der ehe­malige Bolschewik Samjatin, der die revo­lutionä­ren Um­wälzungen von 1917 zu­nächst be­grüßte, zum ver­folg­ten Geg­ner, ja, sogar zum Feind des bolsche­wistischen Sozialis­mus ge­stempelt, in die Iso­la­tion und schließ­lich ins Pariser Exil ge­trie­ben wurde, wo er 1937 starb? Tat­sache ist dass er schon kurz nach der Oktober­revolu­tion be­gann, die sich neu etablie­renden Macht­strukturen zu kriti­sie­ren. Er warnte vor Tenden­zen, die die emanzi­patorischen Ziel­setzungen der Revo­lu­tion zu ver­nichten droh­ten. Bereits im Januar 1918 ver­weigerte er die Zu­stimmung zu der Poli­tik der Regie­rung, dem Terror der »Weißen« den roten Terror ent­gegen­zu­setzen. [...] Zum Zeit­punkt der Nieder­schrift seines negativ utopischen Romans »WIR« musste Samjatin also in der Realti­tät des nach­revolutio­nären Ruß­land bereits als jener Häreti­ker gelten, dessen Stigma die Rezep­tion dieser ers­ten klassischen »schwarzen« Utopie nach­haltig beein­träch­tigen sollte. 1920 ab­ge­schlossen, konnte Samjatin zwar in öffent­lichen Lesungen aus dem Manu­skript vor­tragen. Doch das Ver­bot durch die Zensur ließ nicht lange auf sich war­ten. Immer­hin gelang es ihm, das Manu­skript ins Aus­land zu schmug­geln. 1924 er­schien eine englische Über­setzung, der dann eine französische und tschechische Ver­sion folgte. Das russische Original­manuskript blieb ver­schollen. Aller­dings gelangte anonym eine russische Fas­sung nach New York, die hier 1952 ver­öffent­licht wurde; sie gilt heute als die Standard­fassung des Romans. [...] Text­fragmente aus: »Die konstruktive Kraft des Null­punkts / Samjatins ›WIR‹ und die Zukunft der politischen Utopie« von Richard Saage (Politik­wissen­schaftler, Professor i.R. an der Martin-Luther-Universität-Halle-Wittenberg).

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bodo
Herstellungsinformationen und technische Daten
Gedruckt wurde auf einer Heidelberg Speed­master 70/100 bei H&P Druck in Berlin. Papier war »Fly« spezial­weiß in 100 g/m2 von Cordier Papier für den Inhalt und »caribic« schwarz in 120 g/m2 von Igepa für das Vor­satz. Für den Ein­band wurde PopSet »pistachio« in 240 sowie in 120 g/m2 von Papier-Union ver­wendet – für die auf­gesetz­ten Deckel, Prä­sentations­karton schwarz in 1400 g/m2 und Sopor­Set in 250 g/m2 beide von Igepa. Gebun­den wurde das Werk von der Leip­ziger Kunst- und Verlags­buch­binde­rei. Ver­wendete Schrif­ten waren die »Lexicon No.1« von Bram de Does und die »National« von Kris Sowersby.